Die weiteren Seitenflügel: Ostern und Pfingsten

Wie vorgesehen begleiteten wenig später zum ersten Mal beide Reliefs in zugeklapptem Zustand des Flügelaltars, das heißt selbst natürlich sichtbar, aber das große Osterrelief verdeckend, die gesamte lange Trinitatiszeit des Jahres 2010 die Gottesdienstgemeinde. Bald allerdings mussten beide Flügel wieder ins Atelier zurück, denn sollte in kommenden Osterzeiten der Flügelaltar voll entfaltet werden können, gehörten ja auf ihre Rückseite das zweite Osterrelief – für das die Jerusalemtradition mit dem Blick aus dem Grab nun beschlossene Sache war – und das Pfingstmotiv.

Seit dem 08. Oktober 2010 haben meine Frau und ich und dann auch in den ersten Ruhestandsjahren Skizzen und erste Arbeiten am zweiten Osterrelief und am Pfingstrelief sowohl mit Felsberger Kirchenvorstandsmitgliedern, als auch mit Andreas Tollhopf im Atelier begleitet, was mir verständlicherweise auch im Ruhestand große Freude bereitet hatte. Mitte September 2013 konnte Andreas Tollhopf der Felsberger Gemeinde das zweite Osterrelief „Leeres Grab“, in Medaillonform und auf kleinem Seitenflügel – neben dem des großen Osterreliefs der Auferstehungserfahrung am See Genezareth – übergeben. Am Erntedankfest 2013 wurde es gottesdienstlich vorgestellt. Ich beschreibe es hier meditativ, obwohl ich es nur aus dem Atelier des Bildhauers kenne, mir aber lebhaft vorstellen kann, wie beide Osterreliefs nebeneinander wirken und somit die Bedeutung des höchsten Feiertages der Christenheit unterstreichen und alle biblischen Auferstehungsberichte künstlerisch so wertvoll widerspiegeln.

Meditation zum Osterrelief „Leeres Grab“

Wer schon einmal – wie auch eine außergewöhnlich große Reisegruppe aus Felsberg – die Nabatäerstadt Petra, heute Jordanien, besucht hat, kann sich sehr gut die Bestattungspraxis in ausgeschlagenen Höhlen vorstellen. Die Nabatäer, möglicherweise Nachfahren des biblischen Volkes Nabajoth, das Ägypten gegenüber in Siedlungen und Zelten wohnte und Kleinvieh hielt, kamen vor und nach der Lebenszeit Jesu zu gewissem Reichtum durch Zwischenhandel mit den begehrten Gütern Südarabiens wie Weihrauch und Myrrhe, die in den Mittelmeerraum via Petra transportiert wurden. Das erlaubte ihnen, sich solche Grabhöhlen als Wohnraum für die Ewigkeit in den Sandstein nahe ihrer Felsenstadt zu schlagen. Mächtige und eindrucksvolle, verschiedenfarbige Steinstrukturen bilden dort noch heute quasi auf natürlichem Steinhintergrund eine reliefartige Innenarchitektur des Grabes, war die Höhle erst einmal ausgeschlagen. Genauso kann man sich Jesu Grab nahe Jerusalem vorstellen, dass ihm der Ratsherr Josef von Arimathäa zur Verfügung stellte. So brauchte im Osterrelief des Felsberger Flügelaltars Andreas Tollhopf dem Eichenholz im Rund des Medaillons nur eine Struktur zu verleihen, die dem Betrachter zum einen die Übermannshöhe der Grabhöhle vor Augen führt, ihn mittendrin stehen und zum anderen gleichsam von der Stelle aus, wo man Jesu Leichnam gebettet hatte, durch den großen Eingang, beziehungsweise Ausgang des Grabes, in die Ferne blicken lässt. Nur angedeutet, aber dennoch in seiner Mächtigkeit gut wahrnehmbar ist der Stein zu sehen, der die Grabhöhle verschlossen hatte, aber nun beiseite gewälzt war. Die Auferstehung war geschehen! Im Grab nur noch Leere! Und deshalb lässt der Bildhauer seine einmalige Idee Wirklichkeit werden, den Betrachter nicht in das Grab hineinschauen, sondern aus ihm heraussehen zu lassen. In allen Evangelien werden die, die Jesu Grab besucht hatten, von seiner Beisetzungsstelle weggeschickt hin zu seinen Jüngern und hin nach Galliäa, wo sie ihn zu Lebzeiten gekannt hatten und nach seiner Auferstehung wiederfinden sollten. Nach Markus, dem ältesten Evangelium, gingen Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus und Salome zu Jesu Grab, um seinen Leichnam einzubalsamieren, nicht wissend, wie sie den Stein vor dem Grabeingang hätten bewegen sollen. Drei Frauen kamen sehr früh und doch zu spät. Andreas Tollhopf bildet bereits ab, wie sich ihr Problem erledigt und die Botschaft des leeren Grabes sie auf den Weg geschickt hatte. Aber wie! Markus 16, 8: Sie gingen hinaus in Zittern und Entsetzen, denn noch hatte niemanden das Evangelium froh gemacht. Wieder zeigt sich durch die Hände des Bildhauers geschaffen, die Ausdruckskraft der Hände und Arme der vom leeren Grab fliehenden Frauen: Die dem Grabausgang noch am nächsten mit hängenden Armen und Händen, so als hätte sie eben die gekauften Salböle aus den Fingern gleiten und mit Vergeblichkeitsgefühlen liegen gelassen! Die mittlere Frau, man sieht auch sie ja nur von hinten, muss zwingend ihre Arme vor der Brust verschränkt und eng an den Körper gepresst haben, denn man sieht von hinten nur noch ihre Finger, noch nicht einmal die Hand. So stelle ich mir ein frierendes Kind in kalter Umgebung vor. Das volle Zittern und Entsetzen drückt die Körpersprache der schon am weitesten vom Grab entfernten Frau aus. Ihre steil aufgestellten, ja auf dem Kopf verkrampften Finger, sprechen die Sprache des Schreckens. Dass der verschlungene Weg in die Zukunft, der noch vor ihnen liegt, ein guter werden wird, ist hier einfach noch nicht dran. Der Bildhauer drückt Frust, Frost und Entsetzen plastisch aus. Erst am See Genezareth, wo sie alle miteinander Jesus wiederentdecken, beginnt der Auferstehungsglaube und steckt ja am ersten Pfingstfest noch in den Kinderschuhen.

Rückblickend erscheint die Entscheidung des Kirchenvorstands, beide Osterreliefs in den Flügelaltar aufzunehmen wie eine glückliche Fügung, den Weg von tiefer Erschütterung bis hin zur Osterfreude den Betrachtern in der Osterzeit bis Pfingsten vor das spirituelle Auge zu stellen.

Sobald es Andreas Tollhopf gelingt, das Pfingstrelief fertigzustellen, kann der Flügelaltar an allen folgenden Osterzeiten entfaltet werden. Osterzeit: Die geistlich bedeutendste Kirchenjahreszeit!

Pfingstrelief 2017 noch im Atelier

Seit Pfingstsonntag 2017 ist der Tollhopf-Altar in Felsbergs Nikolaikirche zum ersten Mal künstlerisch voll als Flügelaltar entfaltet. Wie ein Hochaltar begleitet er die Gemeinde von Ostersonntag über die Oster- und Pfingstzeit bis zum Trinitatissonntag acht lange Wochen von nun an in jedem folgenden Kirchenjahr: Von links nach rechts sieht das Auge die Szenen vom leeren Grab in neue Zukunft (kleines Osterrelief) über die Offenbarung des Auferstandenen vor seinen Jüngern am See von Tiberias bis zum Pfingstflügel: Gottes Geist in seiner Welt mit dem Symbol der Dreifaltigkeit.

Meditation zum Pfingstrelief "Der Heilige Geist in Gottes Schöpfung"

In Johannes 14 hat Jesus ihn, den Heiligen Geist, seinen Jüngern und fortan allen getauften Menschen versprochen: „Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben (nämlich den Beistand des Heiligen Geistes), dass er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.“ (Joh 14, 15-17)

Es bietet sich an, die runde Form des Medaillons zu nutzen, die Welt anzudeuten. Andreas Tollhopf hat sie mit einer schützenden Haut umgeben. Wie die wirkliche Erde von der sie bewahrenden Hülle der Atmosphäre umgeben ist, so umweht sie seit Jesu Auferstehung der Heilige Geist. Das ist so tröstlich wie Jesus selber den Heiligen Geist als „Tröster“ benannt hat. Jesu Auferstehung wird zu jeder Zeit begreiflich: „Ich lebe und ihr sollt auch leben.“ (Joh 14, 19b)

In feinster Detailarbeit hat Andreas Tollhopf traditionelle Symbole für den Heiligen Geist ins Eichenholz zum Relief gestaltet. Die Symbole haben sich seit des ersten ökumenischen Konzils von Nicäa im Jahr 325, das das trinitarische Glaubensbekenntnis verabschiedete, in der Kirchengeschichte entwickelt. Hier im Pfingstrelief wollen sie entdeckt sein.

Da ist der Mensch in der Welt zu sehen. Nicht jeder, sondern der vom Heiligen Geist beseelte Mensch. Und jeder Mensch kann es werden. Das betrachtende Auge möge zum großen Osterrelief wandern. Hat nicht Andreas Tollhopf den Auferstandenen am See und den geistbeseelten Menschen im Pfingstrelief zum Verwechseln ähnlich ins Holz gehauen? („Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn, und schuf sie als Mann und Frau. 1. Mose 1, 27) Hier: Der von Christus beseelte und von Gott geschaffene Mensch. Darum die Aureole, der Heiligenschein, um das christliche Haupt, auch auf Holz in Gold gedacht, der symbolischen Farbe des Heiligen Geistes. Andreas Tollhopf hat in eigener Kreativität in seinem Pfingstrelief die Trinität, die Dreieinigkeit, in drei unübersehbaren Kreisen zentrisch dargestellt: Von außen nach innen: Die geistumhüllte Erde, unser belebter Planet selber und die Aureole im Zentrum.

Von ihr weg und hin zur Welt fliegt ins Abstrakte übergehend, gerade noch ihr Schweif erkennbar, die Taube als Geistsymbol. (Vergleiche auch das Relief von Andreas Tollhopf auf dem Lesepult der Friedenskirche Böddiger) Von der alttestamentlichen Verheißung hin zur neutestamentlichen Erfüllung fallen mir zum Symbol der Taube zwei biblische Zitate ein: „ O dass du auf meine Gebote gemerkt hättest, so würde dein Friede sein wie ein Wasserstrom und deine Gerechtigkeit wie Meereswellen.“, Jesaja 48,18 und „ Das Reich Gottes ist Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist. Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen geachtet.“ Römer 14,17-18. Da ist in Strenge, aber auch Klarheit, das gleichschenklige Dreieck als jahrhundertealtes Symbol für den dreieinigen Gott zu sehen. Früher war der Sonntag Trinitatis, der Sonntag nach Pfingsten ein hoher Feiertag. Das Bewusstsein für den Wert der Dreieinigkeit und damit den Sinn dieses Festsonntags ist vielen Menschen verloren gegangen. Ist doch jedes seit des Nizänums zu gleich welcher Zeit formulierte Glaubensbekenntnis stets ein trinitarisches und bekennt Gott, den Schöpfer, Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn und den Heiligen Geist. Der Tollhopf-Flügelaltar in Felsberg wird diesen Zusammenhang über die jährlichen Osterzeiten hinaus künstlerisch wertvoll und einmalig meditativ den spirituellen (geistlichen) Menschen entsprechend der sieben Gaben des Heiligen Geistes dienen. Diese sieben Gaben heißen in langer ökumenischer Tradition: Weisheit, Verstand, Rat, Stärke, wissenschaftliche Erkenntnis, Frömmigkeit und Gottesfurcht.

Der Hochaltar von Ostern über Pfingsten bis zum Trinitatissonntag