Schöpferische Pause, Spenden

Nun, trotz des Optimismus von Andreas Tollhopf kam es zu Ostern 2001 noch nicht zur Fertigstellung dieses Reliefs. Es dauerte noch bis zum Fest des Jahres 2002. Das hatte auch, aber keineswegs allein mit der Geldbeschaffung zu tun. Das Doppelkunstwerk, Weihnachts- und Osterrelief, in beiden Kirchenjahreszeiten immer noch wie ein Antependium vor dem Altar platziert, der ja in seinen Ausmaßen von den bekannten zwei Quadratmetern die Größenvorgabe gemacht hatte, hatte durchaus den Charakter eines gewissen Abschlusses des Projekts erwirkt. Beide Reliefs wurden außerhalb der Weihnachts- und Osterzeit, genauso wie bisher das Weihnachtsrelief allein, in der stadtseitigen Nische des Altarraums sozusagen in Wartestellung gebracht und von den hohen Rückenlehnen des Chorgestühls verdeckt. Außer Andreas Tollhopf, dem Kirchenvorstand und mir war der »Traum Flügelaltar« in der Gemeinde nur Wenigen geläufig. Zur Geldbeschaffung stellte sich schon, vielleicht auch wegen des Eindrucks eines vorläufigen Abschlusses, heraus, dass die Spenden keineswegs so flossen, wie es bei der Glockenbeschaffung gewesen war. Auch fehlte es an einem Motivator, der Rolle, die Manfred Schaake für die Glocken eingenommen hatte. Dennoch waren Spenden nie versiegt, zu nennen sind Einzelpersonen, auch Familien, die sich nach Kasualien großzügig zeigten, weiterhin der in vieler Hinsicht so aktive Frauenkreis, Einnahmen im Verlauf von Gemeindefesten, nicht selten auch die zur Verköstigung von Kirchenkonzertbesuchern auf dem Pfarrhof, zweckbestimmte Kollekten und manchmal und gar nicht so selten Auswärtige, hier sind zudem Konzertierende zu nennen und Touristen, die auf der A 7 eine Pause einlegten, aber auch speziell wegen beider Kunstwerke nach Felsberg Gekommene. Viele kleine Gaben summierten sich auch.

Dann ist hier zu nennen, dass Andreas Tollhopf trotz seines Optimismus zu seinen künstlerischen Arbeiten sich selbst niemals unter Druck setzte, immer frei bekannte, dass er zu seinen Arbeiten psychisch gute Verfassung benötige und nichts im Schnellverfahren erledigen könne. Das sagte er auch in dem Bewusstsein, dass seine Kunstwerke das nicht verdient hätten, und sonst nur in der Qualität Mangel erleiden würden. Zeit haben und sich Zeit zu nehmen, war hier also kein Defizit, sondern ein Qualitätsmerkmal. Schließlich arbeitete der Holzbildhauer auch nicht allein hauptberuflich und auch nicht ausschließlich für die Felsberger Gemeinde, sondern ebenso für andere Auftraggeber und außerdem als zeitweise angestellter Architekt und nun seit vielen Jahren als freier Architekt und zudem im Ausland und oft mit erheblich strengen Zeitvorgaben seiner Kunden.

Meine Idee eines beweglichen Flügelaltars

Dann brauchte es einen großen Zeitaufwand, sich die Technik des Projekts Flügelaltar zu überlegen, sie statisch durchführbar zu berechnen und auch noch bezahlbar zu machen. Außerdem legt ein Künstler mit Recht Wert darauf, dass sein Kunstwerk nicht allein von irgendeiner funktionierenden Technik getragen wird, sondern diese muss einerseits wohl ihren Zweck erfüllen, anderseits aber auch mit dem Kunstwerk harmonieren. Von Natur aus sehr verschiedene Materialien wollen in Einklang gebracht werden. Die Reliefs sind bekanntlich auf Eichenbohlen aufgebracht, die tragende Technik aber wird ohne Metall nicht auskommen. Für all den hierzu gehörenden Ideenreichtum zeichnet allein Bildhauer Andreas Tollhopf verantwortlich und dazu gebührt ihm aller erdenklicher Dank. Zu den Eichenholzbohlen sei an dieser Stelle gesagt, dass auch sie beschafft werden mussten und dass ein Holzbildhauer dabei andere Maßstäbe ansetzen muss als ein Zimmermann. Stets hat bei der Betrachtung der Holzmaserung und auch entstehender Risse, wie sie zu Holz natürlicherweise einfach gehören, der Bildhauer das etwa auszuführende Werk schon vor seinem inneren Auge. Sägewerke und Zimmereien haben Andreas Tollhopf fast zur Verzweiflung gebracht, weil er sich nie ein – vielleicht gar übrig gebliebenes – Holz verkaufen ließ. Zum Thema Eichenholz sei schließlich hinsichtlich der Trägertechnik erwähnt, dass ein fertiger Flügelaltar etwa eine Tonne wiegen wird und dabei in Zukunft leicht fahr- und drehbar sein soll. Die Schlepperei des an sich schon sehr schweren Doppelreliefs sollte ein Ende haben. Das Traumprojekt schien etwas von der Quadratur des Kreises an sich zu haben.

Andreas Tollhopf trug unzählige Überlegungen in sich und mit sich und fand die Lösung: Einmal begegnete er einer schweren Schiebetür an einer Werkshalle, die üblicherweise an Rollen hängt, die in einer Schiene laufen. Dadurch lässt sich eine schwere Tür ziemlich leicht bewegen. Seine zündende Idee für Fahrwerk und Trägerschaft des Flügelaltars aber war die: Diese Technik müsste auch »auf den Kopf gestellt« funktionieren. Und genau das tat sie. Das war der technische Durchbruch, aber noch nicht der künstlerisch akzeptable. In guter Kenntnis nordhessischer Kunsthandwerkerschaft fand Andreas Tollhopf den richtigen Mann. Es war Kunstschmied Michael Possinger in Guxhagen, also sogar ein Kunsthandwerker in unmittelbarer Nachbarschaft Felsbergs. Der Gemeinde war zudem die Werkstatt lange positiv bekannt, weil nämlich Michael Possinger die Guxhagener Kunstschmiede von Jochen Wünsche übernommen hatte, der seinerzeit die vom Rost zerfressene Wetterfahne auf der Spitze des Kirchturmhelms der Nikolaikirche durch ein neues Bronzekreuz ersetzt hatte, was man bekanntlich die Turmzier nennt.

Kunstschmiedemeister Michael Possinger zeigte sich fasziniert von der Idee »der auf den Kopf gestellten in Schienen hängenden Schiebetür« zum Tragen und Beweglich-Machen des zukünftigen Flügelaltars. Folglich setzte er seinen künstlerischen Ehrgeiz, stets gepaart mit dem von Andreas Tollhopf, in die Verwirklichung des Projekts. Und der Plan gelang.

Das Konzept sah so aus: Die von der Schiebetür her bekannten Schienen sollen – parallel wie Bahngleise, aber dennoch so unscheinbar wie möglich – in den Fußboden hinter dem Altar eingefügt werden. Unter einer gewachsten Stahlplatte sollen kleine, nicht mehr sichtbare Räder angebracht werden, die einerseits das tonnenschwere Gewicht tragen können und in den Schienen geführt sind und andererseits so den gesamten Flügelaltar vom Tischaltar bis zur Ostwand verschiebbar machen. Die Stahlplatte ist so ein bewegliches Fundament des Flügelaltars.

Diese Verschiebetechnik war übrigens ein Wunsch des Kirchenvorstands, weil der Flügelaltar, unmittelbar hinter dem Altar in Stellung gebracht, die größte Wirkung erzielt. Wäre er hier aber unverrückbar fest montiert, so wäre das eine eigentlich rein lutherische, zumeist norddeutsche und nordeuropäische Tradition. Flügelaltäre sind ja übrigens eine auch niederländische, besonders aber deutsche Sonderform eines Altaraufsatzes, Retabel genannt. Die Möglichkeit, in reformierter Tradition – früher in Felsberg gemeindeeigen - siehe oben - dass der Geistliche die Liturgie, den Tischaltar vor sich und sein Gesicht der Gemeinde zugewandt, feiert und beim Abendmahl, etwa der Wandelkommunion oder auch anderen Formen mit dem Tisch des Herrn in der Mitte, wäre genommen. Zudem hat der schöne Altarraum der Nikolaikirche auch nicht unbegrenzte Ausmaße. Bei Konzerten mit Chören und/oder Orchestermusikern wird aller Platz benötigt, schließlich befindet sich ja deshalb auch das sogenannte »Chorgestühl« im Altarraum, und so ergibt es guten Sinn, dass der Flügelaltar auch einmal bis zur Ostwand verschoben werden kann.

Weiter zur Technik des zukünftigen Flügelaltars: In der Mitte der Fußplatte sollte ein Trägerrohr, ebenfalls gewachst, aufgeschweißt werden, und zwar in der Höhe, die sich etwa mit der Unterseite der Reliefs aus der Höhe des Altars ergibt. Auf dem Trägerrohr befindet sich ein rundes Stahlkugellager, welches den Eichenholzaltar einerseits mitträgt und andererseits federleicht drehbar macht. Die zukünftig zu klappenden Seitenflügel müssen natürlich Scharniere erhalten. Da diese aber nicht sichtbar sein sollen, weil sonst die Reliefs das unerwünschte Aussehen einer Zimmertür erhielten, schlagen Andreas Tollhopf und ich Michael Possinger vor, Flacheisen zu schmieden, die jeweils oben und unten an die jeweils obere und untere Eichenbohle eines jeden Altarflügels aufgeschraubt werden, so dass die Flacheisen höchstens von ihrer Schmalseite und eigentlich aus einiger Entfernung überhaupt nicht gesehen werden können. In großer Kunstfertigkeit bringt freilich erst Michael Possinger die Flacheisen, mit einem ebenso flachen Scharnier konisch ineinandergreifend zustande, so dass nichts aufträgt.

Foto: Schaake

Zweifellos ist das in sich fahr- und drehbare Trägergestell – durchaus »Retabel« – in seiner ansichtigen Zartheit, aber großen Tragkraft und Wendigkeit ein Kunstwerk in sich, das größte Anerkennung erforderlich verdient. So auch Dank an den Metallkünstler, der die Aufgabe der Technik und Statik des Flügelaltars in gewollter Zurückhaltung gegenüber dem Werk in Holz bravourös gelöst hat!

Konstruktionsplan (PDF)